Fachdiskussion [was: Interview / Artikel Meier/Juhre]

Christian @, Dienstag, 06.06.2006 (vor 6506 Tagen) @ Thomas Weihermüller

Hallo Thomas,

Achtung, Antwort ist lang.

» 1.) Kann eine "Nebenwohnsitzsteuer" noch unter der Flagge der einst für
» Überlingen verfassungsrechtlich abgesegneten Zweitwohnungsteuer segeln
» oder handelt es sich nicht vielmehr um eine neue, andere Steuerart, weil
» jetzt - wegen der politischen Zielstellung der Großstädte, die Zahl der
» Hauptwohner zu mehren - das Melderecht unmittelbar als Anknüpfungspunkt
» dient >


1. a) Vorab: Nur „Nebenwohnungsteuer“ ist richtig.
Mein Rumhacken auf dem Begriff „Wohnsitz“ ist mehr als eine Korinthe.
Wohnsitz bezeichnet üblicherweise die kleinste Verwaltungseinheit (also Stadt oder Kommune) in der jemand seine Wohnung ständig oder unter Umständen innehat (!), die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (nachzulesen ist das u.a. im ARD-Ratgeber Recht und einschlägiger Literatur; allerdings nicht bei Meier/Juhre).
Ich habe das Melderechtsrahmengesetz des Bundes sowie die Meldegesetze Bayerns und NRW überprüft (mit Suchfunktion Acrobat Reader): Das Wort „Wohnsitz“ kommt kein einziges Mal vor. Die Meldegesetze der anderen Länder dürften nicht viel anders aussehen.
Die Städte nutzen diesen Begriff gerne, um zu suggerieren, dass Wohnsitz und melderechtliche Wohnung nur Synonyme wären. Neckischerweise habe ich den „Wohnsitz“ bisher auch in keiner „Zweitwohnungsteuersatzung“ gefunden - er taucht dann erst in der Steuererklärung, im Anschreiben und in den Erläuterungen auf und klingt ganz harmlos. Fragt man nach, kriegt man zu hören: „Das ist doch das Gleiche“ und „Wir wollten nicht immer das gleiche Wort verwenden, um den Text besser lesbar zu machen“. Das ist schlicht gelogen oder Unwissenheit - für eine gut erzogene Verwaltung läuft das auf das Gleiche hinaus. Es passt auch sehr gut zu unserem eigentlichen Thema „Meier/Juhre“ (KStZ 9/2005). Beide jonglieren in rechtlich unverantwortlicher Weise mit dem Wohnsitz und dem „Dummhalten“ der Normadressaten.
1. b) Eine „Nebenwohnungsteuer“ kann m. E. nicht unter dem für die Zweitwohnung erteilten Segen des BVerfG segeln, denn die Zweitwohnung setzt immer das Innehaben von mehr als einer Wohnung voraus (steht z. B. auch in der Satzung der Stadt Dresden).
Die diesbezüglich andere Auffassung von Meier/Juhre - das völlige Ignorieren des Innehabens einer Hauptwohnung sei im Rahmen einer ZWEITwohnungsteuersatzung zulässig -, erscheint mir - mit Verlaub gesagt - ziemlich absurd zu sein und wurde bisher auch von keinem Gericht bestätigt. In vielen Verhandlungen stellte sich die Frage überhaupt nicht, in anderen haben sich die „Melderechtssatzungen“ bisher erfolgreich durchmogeln können, weil die Kläger das nicht aufgegriffen haben (das wäre ein weiteres, interessantes Thema: „Wie muss ich vor einem Verwaltungsgericht klagen, um zu meinem Recht zu kommen>“).

» 2.) Wenn es keine Zweitwohnungsteuer im herkömmlichen Sinne mehr ist, ist
» die "neue" Steuer dann trotzdem eine zulässige Aufwandsteuer > Oder darf
» trotz allem nur - wie weiland 1983 - "das Innehaben einer weiteren Wohnung
» für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung"
» als Anknüpfungspunkt der Steuer dienen mit der logischen Konsequenz, daß
» die Hauptwohnung auch eine "Wohnung" sein muß >

2. a) Die „Nebenwohnungsteuer“ als rechtlich zulässige örtliche Aufwandsteuer hätte ich bei entsprechender Gestaltung bis Oktober 2005 grundsätzlich für unbedenklich gehalten. Sie wäre zwar eine neue Steuer, aber warum auch nicht> Das Steuer(er)findungsrecht liegt schließlich bei den Kommunen. Auch eine „Ferienwohnungsteuer“ wäre möglich (für die ursprüngliche Überlinger Satzung als Bezeichnung sogar angebrachter gewesen). Klare Begriffe - jeder versteht was gemeint ist - übersichtliche Rechtslage - was will man mehr (außer keine Steuern zahlen zu müssen).
„Das Innehaben einer Nebenwohnung für den persönlichen Lebensbedarf ist ein Zustand, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt.“
Da sage ich erst Mal: Passt! Das ist als Begründung für eine Aufwandsteuer allemal tragfähig. Aber die Zeiten sind nicht mehr so - nun müssen zu viele Ausnahmen gemacht werden.
Persönlich bin ich der Auffassung, dass sich eine „Nebenwohnungsteuer“ nicht (mehr) sauber hinkriegen lässt - die Thematik ist zu komplex. Bei der Ferienwohnung wäre das einfacher.
2. b) Der Wunsch der Städte, möglichst viel Bürger zu gewinnen, ist verständlich und legitim. Mit den „Melderechtsatzungen“ geht das aber nur zu Lasten anderer Gemeinden. Da wäre die Frage (eigener Diskussionspunkt>) zu betrachten, ob bei einer derartigen Steuer noch die „örtliche Begebenheit“ bestätigt werden kann, die nicht zu einem die Wirtschaftseinheit berührenden Steuergefälle führt. Schließlich darf die - grundsätzlich zulässige - Lenkungswirkung nicht zum Schaden für andere werden.
2. c) Kleiner Ausflug ins Sentimentale: Gibt es so etwas wie eine gegenseitige Treuepflicht der Gemeinden untereinander> Z.B. fällt für eine kleine Gemeinde im Erzgebirge der Verlust eines Bürgers stärker ins Gewicht, als der Zugewinn in Dresden. Wäre ich Bürgermeister einer kleinen Landgemeinde, würde ich diese Frage mal dem Deutschen Städte- und Gemeindebund stellen.
Und: „Ihr lasst uns ausbluten mit eurer Zweitwohnungsteuer!“ - diese Klage kommt mir irgendwie bekannt vor.
2. d) Statt „… im herkömmlichen Sinne mehr …“ sage ich lieber „… im rechtlich zulässigen Rahmen …“
2. e) Die einzige, logische und rechtliche Konsequenz aus den Beschlüssen des BVerfG ist, dass die Hauptwohnung (zur besseren Unterscheidung wäre durchgängig „Erstwohnung“ zweckmäßiger) nicht nur eine „Wohnung“ (Was ist eine Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf> Auch ein interessanter Diskussionspunkt) - sein muss, sie muss auch innegehabt werden.

» Ich halte den Wohnsitzbegriff, den das BVerfG in diesem Urteil heranzieht,
» um staatbürgerschaftliche Fragen zu erörtern, nicht für vergleichbar mit
» dem melderechtlichen Begriff der Haupt- oder Nebenwohnung. Aber natürlich
» weiß man nie ... ;-)

Die Wohnsitzdefinition verändert sich nicht je nachdem, welche Fragestellung gerade erörtert werden soll. Sie ergibt sich aus dem BGB und der Abgabenordung des Bundes und ist durchgängig anzuwenden. Alles andere ist sprachliche Unzucht - womit wir wieder in Kalifornien wären.
Aus der Wohnsitzdefinition ergibt sich m. E. ziemlich deutlich, dass das „Kalifornienurteil“ auf Studenten sehr gut passt. Selbst wenn ein Student am Studienort eine Wohnung innehat, kann man nicht von vorneherein davon ausgehen, dass er beabsichtigt, sich dort ständig - oder zumindest nicht nur vorübergehend - nieder zu lassen.
Klare Begriffe - … (siehe oben).

Mit besten Grüßen


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