Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Studierenden

Christian @, Montag, 12.06.2006 (vor 6521 Tagen)

Aufgefordert, Vorschläge zu machen, will ich mich dem nicht entziehen. Hier sind ein paar Überlegungen dazu:

1. Ausgangslage:
Ein Studierender wohnt bei seinen Eltern und ist dort mit Hauptwohnung gemeldet. Am Studienort ist er Mieter einer Wohnung und mit Nebenwohnung gemeldet.
Die Zweitwohnungsteuersatzung am Studienort besagt sinngemäß: „Zweitwohnung im Sinne ist jede Wohnung, die dem Eigentümer oder Mieter als Nebenwohnung dient“.

2. Frage 1
Ist dieser Studierende nun wirtschaftlich leistungsfähig, wenn er am Studienort eine Nebenwohnung innehat, die wegen der dort geltenden Zweitwohnungsteuersatzung zur Zweitwohnung wird>

Antwort 1:
Das Gefühl - und auch die praktische Vernunft -, sagen: NEIN.

3. Frage 2
Warum gehen dann trotzdem die meisten Prozesse verloren, wenn dieser Studierende nun wegen seiner „fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ klagt>

Antwort 2:
Ein Mieter ist im Rechtssinn üblicherweise „Inhaber“ der gemieteten Wohnung. Und dass ein Studierender für seine Studentenbude finanzielle Mittel (hier: Miete) aufwenden muss, kann man zwar beklagen, aber nun einmal nicht bestreiten.
Deswegen können die Kommunen und die Verwaltungsgerichte leicht zu folgendem Argument greifen:
„Das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf neben der Hauptwohnung ist ein Aufwand, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln erfordert und in der Regel wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringt. Soll zulässigerweise die in dem Aufwand für eine Zweitwohnung zum Ausdruck gebrachte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit getroffen werden, so kommt es schon aus Gründen der Praktikabilität nicht darauf an, dass diese Leistungsfähigkeit in jedem einzelnen Fall konkret festgestellt wird. Ausschlaggebendes Merkmal ist vielmehr der Aufwand in Form eines äußerlich erkennbaren Zustandes, für den finanzielle Mittel verwendet werden.“
Selbst BAFöG-Empfänger müssen scheitern, denn dann kommt der Zusatz: „Dabei ist es unerheblich, von wem diese finanziellen Mittel stammen oder ob sie im Einzelfall die finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigen“.

4. Frage 3
Der Studierende ist frustriert, fühlt sich ungerecht behandelt und fragt sich: Was habe ich falsch gemacht>

Antwort 3:
Eigentlich nicht viel. Er hat nur übersehen, dass die Zweitwohnungsteuersatzung seines Studienortes
a) unterstellt, dass die genutzte melderechtliche Hauptwohnung das Innehaben einer steuerrechtlichen Erstwohnung sein soll und die zweifelsfrei innegehabte Nebenwohnung damit eine Zweitwohnung ist, und
b) für den Richter bis zum Gegenbeweis - geltendes Recht ist und sein muss.

Weil der Studierende (sein Anwalt>) dies übersehen hat, wurde es auch nicht geltend gemacht. Die Satzung wurde nicht angefochten. Dem Richter hat sich dieser Punkt nicht als offensichtlich aufgedrängt (Ausnahme: VG Lüneburg). Es kam, wie es kommen musste.

5. Fazit:
Der Student ist bei dieser Aufwandsteuer wirklich nicht wirtschaftlich leistungsfähig - ganz einfach deswegen, weil er die Wohnung bei seinen Eltern im rechtlichen Sinne nicht innehat. Seine Studentenbude ist daher keine weitere, sondern die einzige „innegehabte Wohnung“.
Wenn aber eine Zweitwohnungsteuersatzung glaubt, ohne das Innehaben einer Hauptwohnung auskommen zu können, MUSS die Rechtmäßigkeit dieser Satzung angegriffen werden. Das Verwaltungsgericht wird dann auch darauf eingehen (müssen).

6. Zusatz:
Diese Überlegungen gelten bei gleicher Fallkonstellation auch für Auszubildende und Berufstätige.

7. Handlungsmöglichkeiten:
a) Wenn von der Zweitwohnungsteuer selbst betroffen: Rechtsweg nicht scheuen, aber auf jeden Fall einhalten (= Widerspruch - Klage). Von abschlägig beschiedenen Widersprüchen nicht abschrecken lassen.
b) Alle: Die Fraktionen im jeweiligen Stadtrat anschreiben (E-Mail genügt) und zur Änderung der rechtswidrigen Satzung auffordern. Das bringt zwar nicht viel, zwingt die Fraktionen u. U. aber, sich mit ihren Satzungen immer wieder auseinander zu setzen und schärft das Bewusstsein. Die jeweilige Opposition greift das Thema vielleicht sogar auf.
c) Alle: Bei jeder Gelegenheit Politiker aller Couleur beharrlich auf die Unrechtmäßigkeit der Zweitwohnungsteuer ansprechen. Die werden sich dann zwar meist mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns für „nicht zuständig“ erklären, aber vielleicht lässt sich das Bewusstsein für Recht und Unrecht trotzdem schärfen.
d) Schriftstellerisch Begabte: Die Zweitwohnungsteuer eignet sich für groteske/absurde Essays über Symptome des Staates (Stichwort: Leviatan). Vielleicht kennt man eine Redaktion, die so etwas gerne annimmt.

Langt das für’s Erste> Wem fällt noch was ein>

Eins noch, immer beachten:
Aus der Sicht des Finanzbedarfs staatlicher Stellen ist die Zweitwohnungsteuer eine Bagatellsteuer - sie bringt nicht wirklich viel. Die Fleischtöpfe hängen wo anders, und der Verteilungskampf ist unerbittlich.

Gruß