Die Kunst der Auslegung
Eben deswegen ist es manchmal ja so problematisch mit der Justiz
Beispiel:
Da steht in einer ZWSt-Satzung seit 1998
„§ 3 Steuerpflichtige
(1) Steuerpflichtig ist, wer im Stadtgebiet eine Zweitwohnung oder mehrere Wohnungen innehat. ...“
Das muss man natürlich auslegen, und so erkennt 2010 ein Obergericht:
„Auch wenn § 3 Abs. 1 Satz 1 der Satzung bestimmt, dass steuerpflichtig derjenige ist, wer im Stadtgebiet eine Zweitwohnung oder mehrere Wohnungen innehat, ist mit „mehreren Wohnungen“ gerade nicht die Hauptwohnung gemeint; denn hinsichtlich derer besteht ja gerade keine Zweitwohnungsteuerpflicht. Gemeint sein könne mit „mehreren Wohnungen“ vielmehr lediglich weitere „Zweitwohnungen“.
Die Erkenntnisfähigkeit und Meinung der sicher ehrenwerten Richter in allen Ehren. Aber hätte der Satzungsgeber Zweitwohnungen gemeint, hätte er das auch problemlos und völlig unmissverständlich zum Ausdruck bringen können. Ausnahmsweise meinte der Satzungsgeber hier aber wirklich das, was er da normiert hat. Die Alternative „oder mehrere Wohnungen“ war als Auffangtatbestand für diejenigen konzipiert, die im Stadtgebiet der Beklagten mehrere Wohnung innehatten, sich melderechtlich aber nicht für die weitere Wohnung mit einer Nebenwohnung melden mussten. Mit Änderung der Meldegesetze ist diese Regelung obsolet.
Da stellt sich u.U. die Frage: Muss ein erkennender Senat diese Zusammenhänge kennen/berücksichtigen, wenn er seiner Fantasie freien Lauf lässt?
Am Rande:
Nach Auffassung des BVerfG von 2005 ist die oben zitierte Satzung nichtig. Das stimmt natürlich nicht, denn 4 Jahre nach diesem Beschluss kommt ein VG zu dem wohl maßgeblichen Urteil, dass sich die verfassungswidrigen Satzungsbestimmungen geltungserhaltend auslegen lassen. Ja, warum ist denn das BVerfG nicht auf dieser geniale Lösung gekommen und hat stattdessen gleich zur Keule der Nichtigkeit gegriffen?